Aktuell findet sich auf dem Markt eine unübersichtliche Menge an Händedesinfektionsmitteln mit zum Teil sehr fragwürdigen Eigenschaften. Neben den nun entstandenen Risiken für die Verbraucher wird es notwendig, die Qualitätssicherung für den medizinischen Bereich zu regeln. Das Arzneimittelrecht definiert nicht mehr Haut- und Händedesinfektionen explizit als Arzneimittel, weshalb diese Produkte nicht mehr zwingend als Arzneimittel vermarktet werden.
Händedesinfektionsmittel in Deutschland genießen bisher einen guten Ruf. Auch wenn das Arzneimittelrecht die Desinfektion auf der Haut nicht mehr gesondert definiert (siehe § 2 Abs. 1 Nr. 4 AMG alte Fassung), hat die Nutzung der als Arzneimittel zugelassenen Händedesinfektionsmittel im medizinischen Bereich eine hohe Produktsicherheit definiert. In diesem Sinne sind auch die vom Robert Koch-Institut (RKI) formulierten Empfehlung zur Händehygiene zu verstehen (Bundesgesundheitsbl 2016 · 59:1189-1220). Diese Empfehlung aus dem Jahr 2016 geht noch davon aus, dass Händedesinfektionsmittel Arzneimittel sind, auch wenn der Hinweis auf die laufende Diskussion hier aufgeführt wird.
Ebenfalls im Jahr 2016 stellte die EU-Kommission fest, dass Isopropanol-Wasser-Gemische für die Handdesinfektion, einschließlich der chirurgischen Handdesinfektion, zukünftig nicht mehr als Arzneimittel, sondern als Biozidprodukte gelten sollen (EU-Beschluss 2016/904). Bestehende Zulassungen in Deutschland sind davon allerdings nicht betroffen. Der viel diskutierte „Dual Use“, also die gleichzeitige Nutzung als Arzneimittel und Biozid, ist nach deutschen Recht nicht zulässig, wird aber inzwischen von den Behörden toleriert.
Spätestens seit dem Urteil aus Köln im Jahr 2011 (VG Köln 6.12.2011, Az. 7 K 5708/08) wurde jedoch deutlich, dass die Händedesinfektionsmittel durch den Gesetzgeber im Arzneimittelrecht nicht mehr gewollt sind, sondern bewußt in den Rechtsrahmen des Biozidrechts gedrängt werden. Schließlich wird der Gesetzgeber durch die Streichung der Hautdesinfektionsprodukte bewußt diese Produkte nicht mehr als Arzneimittel sehen wollen. Nach Auffassung der Richter würden die Hautdesinfektionen nur dann im Arzneimittelrecht verbleiben, wenn Sie metabolische oder pharmakologische Wirkungen aufzeigen würden. Dies konnten die Kölner Richter nicht nachvollziehen und bestätigten, dass somit die Produkte dem Chemikalienrecht zuzuordnen sind, also als Biozide anzusehen sind.
Eine Argumentation zur metabolischen und pharmakologischen Wirkung dieser Präparate scheint auch in anderen Fachkreisen nicht zu überzeugen, auch wenn die EuGH Entscheidung (EuGH 06.09.2012 C-308/11, siehe auch LG Köln Pharma 2006, 185) die pharmakologische Wirkung auch auf Fremdorganismen zuläßt (hier: Mundspülungen). Für viele Verantwortliche im medizinischen Bereich ist diese Entwicklung beängstigend, da durch das Biozidrecht eine Qualitätssicherung dieser sensiblen Produkte nicht gegeben ist. So wird gerne darauf verwiesen, dass diese Produkte solange noch Arzneimittel sind, solange eine entsprechende Zulassung vorliegt. Damit ließe sich dann schließlich auch die RKI-Empfehlung aus dem Jahre 2016 für den medizinischen Bereich umsetzen. Diese Argumentation hilft jedoch nicht lange, wie sich in der aktuellen Pandemiesituation zeigt. Bedingt durch die Verknappung auf dem Markt haben etliche Biozide es bis in den OP geschafft, was zwar unschön ist, aber formelrechtlich nicht verwerflich ist.
Im Rahmen der aktuellen Pandemie herausgegebenen Allgemeinverfügung sind eine Vielzahl von Produkten auf den Markt gekommen, die in Ihrer Wirksamkeit und Qualität sehr unterschiedlich bewertet werden müssen. Im Ergebnis sind diese Produkte, die zum Teil nicht dem Arzneimittelrecht entsprechen, auch in medizinischen Einrichtungen eingesetzt worden und werden zum Teil noch bis zum heutigen Tag in Krankenhäusern verwendet.
Patienten und Personal wurden durch die Arzneimittelzulassungen auf hohem Niveau effektiv geschützt. Neben gesicherter Wirksamkeit wurde die chemische Reinheit und die Keimfreiheit, insbesondere die Sporenfreiheit garantiert. Im Rahmen des Biozidrechtes ist dies nicht mehr gegeben, weder seitens der Anforderungen, noch im Bereich der Überwachung. Das RKI hat bisher auf diese Rechtslage nicht deutlich reagiert. Eine Rückkehr der Desinfektionsmittel für die Haut in den Text des Arzneimittelrechtes ist unwahrscheinlich, zumal auch das benachbarte europäische Ausland und damit auch das EU-Recht diese Zuordnung nicht kennt.
Immer wieder werden auch die Möglichkeiten im Medizinprodukterecht diskutiert. Wenn also die Verhütung von Erkrankungen nicht über das Arzneimittelrecht möglich ist, so sind aus dem Gesetzeszweck (§1 MPG) und der Begriffsbestimmung (§3 1a MPG) des Medizinproduktzegesetzes zu entnehmen, dass Händedesinfektionen durchaus in diesen Regelungsbereich gehören könnten, sofern diese keine Arzneimittel sind. Der Gesetzgeber scheint diese Produkte demnach ehr hier anzusiedeln, wenngleich die ZLG-Regeln nur schwerlich diese Auslegung zulassen. Doch vielleicht haben die Autoren dieser Regelungen bisher nicht die Notwendigkeit gesehen, das es sich ja bis vor kurzen um Arzneimittel handelte.
Von Seiten des Gesetzgebers zeigen die letzten Novellierungen des Biozidrechtes und des Arzneimittelrechtes keinen Willen die oben genannten Risiken für Patienten und Personal abzuwenden. Vielmehr wird deutlich, dass auf diese Missstände hingewiesen werden muss. Es wäre Wünschenswert, wenn das Verschwinden der Produkte aus dem Arzneimittelrecht ohne eine Ersatzlösung auch die Fachverbände hingenommen würde.
Deutsche Apothekerzeitung zum Urteil Köln
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2012/01/11/haut-und-haendedesinfektionsmittel-sind-biozid-produkte
Apothekerzeitung vor dem Urteil Köln zur Händedesinfektion
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2009/daz-42-2009/haut-und-haendedesinfektionsmittel-sind-arzneimittel
OLG Urteil Köln
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_koeln/j2011/7_K_5708_08urteil20111206.html
EuGH Urteil zum Begriff der pharmakologischen Wirkung
http://www.gd-online.de/german/veranstalt/images2013/17.GD_JT_2013_Abstracts_F_Pflueger.pdf
EU-Beschluss 2016/904
http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32016D0904&from=DE
Mundspülung ist Arzneimittel
PharmR 2006, 185, Landgericht Köln: Mundspüllösung ist Arzneimittel
RKI Empfehlung Händehygiene
https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Krankenhaushygiene/Kommission/Downloads/Haendehyg_Rili.pdf?__blob=publicationFile
Medizinproduktegesetz MPG
https://www.gesetze-im-internet.de/mpg/__1.html
https://www.gesetze-im-internet.de/mpg/__3.html